Buch: „Die Bücherdiebin“,
Markus Zusak
Da ist der
Tod, Erzähler in Zusaks Buch „Die Bücherdiebin“. Und der stellt
gleich zu Anfang unmissverständlich ein paar Dinge klar: „Ihr werdet
sterben. Ich bin nach Kräften bemüht, dieser ganzen Angelegenheit eine
fröhliche Seite zu verleihen, aber die meisten Menschen haben einen tief
sitzenden Widerwillen, der es ihnen unmöglich macht, mir zu glauben, so
sehr ich auch versuche, sie davon zu überzeugen. Bitte glaubt mir: Ich
kann wirklich fröhlich sein. Ich kann angenehm sein. Amüsant. Achtsam.
Andächtig. Und das sind nur die Eigenschaften mit dem Buchstaben ´A`.
Nur bitte verlangt nicht von mir, nett zu sein. Nett zu sein ist mir völlig
fremd.“ und „Mache ich euch Angst? Ich bitte euch inständig – keine
Sorge. Man kann mir alles nachsagen, nur nicht, dass ich ungerecht bin.
(…) Ich bin nicht gewalttätig. Ich bin nicht bösartig. Ich bin das
Ergebnis.“
Genauso unmissverständlich erklärt der Tod, er habe nicht unbedingt
Probleme mit den Toten, sondern „Es sind die übrig gebliebenen
Menschen. Die Überlebenden. Sie sind es, deren Anblick ich nicht ertrage,
und in meinem Bemühen, sie nicht anzusehen, versage ich häufig.“
Deshalb flüchtet sich der Tod in Farben. Als Ablenkung. Um nicht den
Verstand zu verlieren bei seiner Tätigkeit. Denn der Tod hat ein Herz.
Und er hat viel zu tun, der Tod, in den Jahren des 2. Weltkrieges.
Und da ist Liesel. 9 Jahre alt, und sie hat schon vieles verloren. Ihren
Vater, einen Kommunisten, ihre Mutter, die ständig krank war. Und ihren
Bruder, der auf der Zugfahrt zu den Pflegeeltern nach Molchingen, einem
kleinen Ort nahe München, stirbt. In dieser Situation trifft der Tod zum
ersten Mal auf Liesel. Und in dieser Situation stiehlt Liesel zum ersten
Mal ein Buch. Ausgerechnet das „Handbuch für Totengräber. In 12
Schritten zum Erfolg. Wie man ein guter Totengräber wird. Herausgegeben
von der Bayerischen Friedhofsvereinigung.“ Aber welches wenn nicht solch
eins sollte ein 14-Jähriger Totengräberhelfer auf dem Friedhof bei der
Beerdigung von Liesels Bruder auch sonst verlieren?
Da ist also: Verlust, der sich wie ein Faden durch das ganze Buch zieht.
Aber da ist auch: Gewinn. Mithilfe ebendieses Buches, in Ermangelung
anderer Lektüre, lernt Liesel lesen, etwas, das ihr die Schule bis dato
nicht zu vermitteln in der Lage war, aber: Liesel stiehlt weiter. Ein
Buch, das sie aus dem Feuer der Bücherverbrennungen rettet. Bücher aus
der Bibliothek der Frau des Bürgermeisters. Äpfel, Kartoffeln gegen den
Hunger. Das Herz von Rudi, dem Nachbarsjungen aus der Himmelstraße in
Molchingen, der sich in Verehrung für den schwarzen Leichtathleten Jesse
Owens mit Kohle schwarz anmalt und auf dem Sportplatz ein einsames, aber
in Zeiten des tödlichen Nazi-Rassenhasses tollkühnes 100-m-Rennen läuft.
Sie stiehlt. Das Herz von Hans und Rosa Hubermann, ihren Pflegeeltern. Das
von Max Vandenburg, einem jüdischem Faustkämpfer, der eines Tages in der
Küche von Hans und Rosa steht und dessen Vater Hans im Weltkrieg Nummer 1
einst das Leben rettete und den Hans und Rosa nun in ihrem Keller
verstecken. Und sie stiehlt das Herz des Todes. Denn der Tod hat ein Herz.
Und da sind außerdem: die Geschichten in der Geschichte. Nebenstränge
neben Nebensträngen. Anekdoten. Einschübe. Rückblicke. Vorwegnahmen.
Aber vor allem: die Bücher im Buch. Da ist: „Der Überstehmann“, ein
Büchlein, das Jude Max Liesel nachträglich zum Geburtstag schenkt,
selbstgefertigt, indem Max Seiten, 13 genau, aus „Mein Kampf“ ausreißt,
sie mit weißer Farbe übermalt, mit Wäscheklammern auf einer Leine zum
Trocknen aufhängt und dann mit Pinsel und schwarzer Farbe seine
Geschichte aufschreibt. Hitlers Text scheint trotzdem fragmentarisch
durch. Da ist außerdem: Max Skizzenbuch mit der Geschichte, der Fabel,
des Märchens, Liesel ist sich nicht sicher, „Die Wortschüttlerin“.
Sie erhält es erst, nachdem Max fliehen musste, weil es im Keller zu gefährlich
für ihn wurde. Und da ist „Die Bücherdiebin“. Das Buch, das Liesel
selbst schreibt, im Keller, in Max altem Versteck. Ihre Gedanken, ihre
Erinnerungen, ihre Hoffnung. Sie liest es gerade Korrektur, als die
Himmelstraße in Molchingen von Bomben dem Erdboden gleichgemacht wird,
Bomben, die gar nicht Molchingen gegolten haben. Liesel überlebt. Als
einzige. Weil sie mit ihrem Buch im Keller war. Der Tod hat ein Herz. Er
nimmt dies Buch an sich. Und übergibt es ihr erst wieder, als er auch sie
holen kommt, Jahre später, viele Jahre später, viele viele Jahre.
Die Sprache des Todes ist ironisch, lakonisch und sarkastisch der Ton, und
schafft so Distanz zu dem ungeheuerlichen Geschehen. Gleichwohl ist sie
stellenweise poetisch, pathetisch gar, muss sie sein, da sich der Leser
ansonsten in der tiefen Betroffenheit über die Schicksale der Figuren
verlieren würde.
„Bloß ein schmales Bändchen [sollte es] werden“, dies Buch, sagt der
1975 geborene Autor Zusak, eine „Reminiszenz an die Geschichten seiner
Eltern aus München und Wien während des Zweiten Weltkrieges, eine
Erinnerung an die Bombennächte, wie der Himmel in Flammen stand – und
die Erinnerung an ein paar Kinder, die bestraft wurden, weil sie ein Stück
Brot mit den Juden teilten, die über eine Straße irgendwo in Süddeutschland
nach Dachau getrieben wurden.“
Geworden sind es schlussendlich 586 Seiten, die der Tod erzählt, und jede
einzelne ist eine Liebesgeschichte, eine Erinnerung an die Macht der
Sprache und allem voran eine Hommage an das geschriebene Wort.
Jede einzelne.
Zusak, Markus, Die Bücherdiebin, aus dem Englischen von Alexandra Ernst,
geb. Ausgabe blanvalet 2008, ISBN 978-3-7645-0284-3, € 19,95
Und: Schön, wenn auch nicht ganz passend, die Einbandillustration: Liesel
im Tanz mit dem Tod. Nur dass dieser darin im Kapuzenmantel mit Totenschädel
dargestellt ist. Obwohl er doch selbst erklärt: „Ein kleines Stück
Wahrheit. Ich habe keine Sense. Ich trage nur dann einen Kapuzenmantel,
wenn es kalt ist. Ich habe auch kein Totenschädelgesicht, das ihr mir so
gerne andichtet. Wollt ihr wissen, wie ich wirklich aussehe? Ich sage es
euch: Schaut in den Spiegel.“
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© Heike Hartmann-Heesch, 06/08
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